Der eco-Verband der Internetwirtschaft und die Bundestags-Opposition halten den Gesetzentwurf für neue BND-Befugnisse für verfassungswidrig. Die Regierung folge allein der Wunschliste des Geheimdienstes, der wie die NSA agieren dürfe.

Klaus Landefeld, Vorstand Infrastruktur und Netze beim eco-Verband der Internetwirtschaft, kommt angesichts des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für erweiterte Kompetenzen des Bundesnachrichtendiensts (BND) aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. „Das ist ein Freifahrtschein für die Komplettüberwachung des Internets“, erklärte der Techniker gegenüber heise online. Die insgesamt fast 70 Seiten kämen einer „richtigen Wunschliste“ des Auslandgeheimdienstes gleich, mit der dieser das praktizieren dürfte, „was die NSA macht“.

Völlig neue Qualität

Die Bedenken des Vertreters der Providerbranche starten mit der geplanten „völlig neuen Qualität der Datenerfassung“. Künftig solle der BND sich aus allen Netzebenen einschließlich übergelagerter Backbones Internetverkehre ausleiten lassen und mit Selektoren durchsuchen können. Es gehe also letztlich um alle Daten, denen man nur habhaft werden könne in ganzen Bündeln von Internetleitungen mit gewaltigem Datendurchsatz.

Eine prozentuale Grenze, wie sie der Gesetzgeber bei den bisher auch vom BND genutzten „G10-Anordnungen“, mit denen auch Bundesbürger gezielt überwacht werden dürfen, finde sich bei den im Raum stehenden Lizenzen zum Abhören nicht mehr, sorgt sich Landefeld. „Der BND kann bereits aus tatsächlichen Gründen nur einen sehr geringen Anteil der weltweiten Telekommunikation erfassen“, begründet die Regierung diesen Schritt. „Einer Kapazitätsbeschränkung, die eine flächendeckende Überwachung ausschließen soll, bedarf es daher nicht.“

Dass eine andere politische Staatsspitze auch die Ressourcen der Spione generell deutlich erweitern könnte und dass der BND die abgefischten Informationen auch an dritte, mächtigere Partner wie die NSA weitergeben darf, wird in dem Entwurf nicht thematisiert.

Verlängerung

Dazu kommt laut Landefeld, dass die Überwachungsgenehmigungen neun Monate gelten sollen und verlängert werden dürften, während die jetzigen G10-Anordnungen nur drei Monate Bestand hätten. Nicht zu vergessen sei eine Klausel für sechsmonatige Tests, in deren Rahmen der BND probeweise Verkehre etwa aus Glasfaserleitungen entnehmen und etwa mit NSA-Werkzeugen wie XKeyscore analysieren dürfte. Die Nutzungsmöglichkeiten gewonnener Erkenntnisse seien in diesem Rahmen zwar beschränkter, gleichwohl dürften Suchtreffer „umgewidmet“ und gebraucht werden.

Daten von Bundesbürgern solle der BND ganz aussortieren mit seinem mehrstufigen Filtersystem, dessen genaue Funktionsweise geheim sei, erläutert der Experte. Um EU-Bürger zu überwachen, bedürfe es einer Spezialordnung, die aber „kosmetischen Charakter“ habe. Sonstige Ausländer blieben quasi vogelfrei, obwohl Verfassungsrechtler auch hier Korrekturen gefordert hatten.

Das skizzierte, allein mit Juristen besetzte weitere „unabhängige“ Kontrollgremium dürfte zudem kaum in der Lage sein zu beurteilen, „was ein Suchbegriff alles tut“. Treffer könne der BND zudem zunächst bis zu fünf Jahren vorhalten, bis entschieden worden sei, ob der Betroffene über die Maßnahme informiert und die Daten gelöscht werden müssten. Insgesamt sei nicht erkennbar, dass es die Regierung mit dem Grundrechtsschutz ernst nehme. Landesfeld kann es sich so nicht vorstellen, dass die Initiative vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen könnte.

Behinderung der Kontrolle

Auch die Opposition rügt das Vorhaben vehement. „Die Bundesregierung will die ohnehin kaum mögliche parlamentarische Kontrolle des BND noch mehr behindern“, beklagte Jan Korte, Vizechef der Linksfraktion im Bundestag. „Auch das Spionieren unter Freunden wird legalisiert.“ Falls Schwarz-Rot solche Schlussfolgerungen aus den Geheimdienstskandalen ableiten wolle, seien es die falschen.

„Statt die notwendigen, wiederholt angemahnten rechtsstaatlichen Konsequenzen zu ziehen und die Massenüberwachung sowie die Verletzungen von EU-Grundrechtecharta und Grundrechten zu stoppen, sollen die hoch umstrittenen BND-Praktiken nun legalisiert werden“, wetterten der Grünen-Vize Konstantin von Notz und sein Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele, die beide im NSA-Untersuchungsausschuss sitzen. Beide betonen: „Dass der Gesetzentwurf einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand halten wird, bezweifeln wir.“ Die Voraussetzungen für Glasfaserabgriffe und die anschließende Rasterfahndung seien „vollkommen uferlos und weitgehend unbestimmt“.

Klare Vorschriften

Der SPD-Innenpolitiker, Burkhard Lischka, sieht in der Initiative dagegen einen Schritt gegen das vielfach kritisierte Eigenleben im BND. Weltweit sei Spionage bisher ein „regelloses Geschäft“. Das Gesetz setze daher mit seinen klaren Vorschriften Maßstäbe. Massenhafte Abhöraktionen gegen EU-Bürger ohne begründeten Verdacht würden gestoppt. Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, forderte, dass künftig jede Tätigkeit des BND von staatlicher Seite kontrolliert werden müsste und der Entwurf hier in die richtige Richtung weise.

Für die CDU/CSU-Fraktion begrüßte ihr Innenexperte Stephan Mayer, „dass sich die mit der strategischen Fernmeldeaufklärung befassten BND-Mitarbeiter“ künftig „auf rechtlich sicherem Grund bewegen“ können sollten. Dies sei diesen „schon aus Fürsorgegründen“ geschuldet. Die Unverzichtbarkeit des vorgesehenen Datenaustausches etwa mit der NSA „haben uns die furchtbaren Anschläge in Paris und Brüssel schmerzlich vor Augen geführt“. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete den Entwurf als „schlecht gemacht und nicht gut gemeint“, da „der BND an der langen Leine gelassen wird“.

Quelle: http://heise.de/-3251339